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Gedanke der Woche, Paraschat Emor:
Die neuen Kleider
Für Pessach des Jahres 5650
(1890) – einige Monate vor meinem zehnten Geburtstag
– wurde für mich ein neuer Anzug geschneidert,
und ein Paar neue Schuhe kamen dazu. In meiner Heimatstadt
Lubawitsch bereitete man sich gründlich auf das
Fest vor. Am Tag vor Pessach war alles genau vorgeschrieben:
Zuerst suchte man Chamez (gesäuertes Brot) und
entfernte es aus dem Haus, dem Hof, dem Hühnerstall
und dem Stall. Reb Mendel war damit fast die ganze Nacht
beschäftigt und überprüfte am Morgen
noch einmal alles. Dann wurde das Chamez verbrannt,
und anschließend gingen wir in die Mikwa, zogen
uns um und buken die mazat mizwa für den Seder.
Zum Schluss blieb immer noch etwas für die letzten
Minuten übrig.
Auch ich hatte eine Aufgabe: Ich musste die Siegel der
Weinflaschen entfernen und die Korken teilweise herausziehen.
Letzteres war am schwierigsten, denn das Metall des
Korkenziehers durfte den Wein nicht berühren. In
jenem Jahr war ich damit im Zimmer meines Vaters beschäftigt.
Ich arbeitete sehr umsichtig und achtete darauf, meinen
neuen Anzug nicht schmutzig zu machen und vor allem
den Glanz meiner neuen Schuhe nicht zu trüben.
Mein Vater merkte, was mir hauptsächlich durch
den Kopf ging, und er sagte: „Der Alter Rebbe
(Rabbi Schneur Salman von Ladi) erzählte einmal
diese Geschichte: Ein hoher Adeliger saß an einem
Tisch, der mit allerlei köstlichen Gerichten beladen
war. Unter dem Tisch lag ein Hund und nagte an einem
Knochen. Kannst du dir vorstellen, dass der Edelmann
unter den Tisch zu dem Hund kriecht und mit ihm am Knochen
nagt?“
Die Worte meines Vaters machten einen so großen
Eindruck auf mich, dass ich mich von nun an schämte,
meine neuen Kleider auch nur anzuschauen. Das ist Erziehung.
Der Standpunkt des Rebbe
Gedanken und Einsichten des Lubawitscher Rebbe
Kreuzwege
Es gibt Kreuzwege, an denen du nicht nur über
deine Zukunft, sondern auch über deine Vergangenheit
entscheidest. Wähle einen Weg, und deine Vergangenheit
wird zu einem törichten, nutzlosen Traum. Nimm den
anderen Weg, und deine Vergangenheit wird zu einem herrlichen
Rahmen für einen wundervollen Augenblick im Leben.
Denn für diesen Moment wurde deine Seele erschaffen.
von Yanki Tauber
Ein König reiste mit seinem Kind durch die
Wüste. Und wenn ein König auf Reisen geht,
begleitet ihn sein ganzer Hofstaat: Minister, Soldaten
und Diener. Alle waren bereit, ihrem Herrn zu dienen
und seine Wünsche zu erfüllen.
Plötzlich kam die Karawane zum Stillstand,
denn das Kind des Königs hatte einen Wunsch:
„Ich will Wasser“, sagte der Kronprinz.
Der König wandte sich an seine Minister: „Mein
Sohn hat Durst.“ Aber woher sollte man in der
Wüste Wasser nehmen? Die Minister berieten lange,
dann schlugen sie zwei Lösungen vor:
„Ich werde meine zehn besten Reiter auf meinen
zehn schnellsten Pferden losschicken“, sagte
der Kommandant der Kavallerie. „Sie reiten zum
nächsten Dorf und füllen ihre Wasserkanister.
Innerhalb einer Stunde hat der Prinz Wasser.“
„Meine Männer machen sich mit ihren Geräten
an die Arbeit“, versprach der Chefingenieur.
„Sie graben gleich hier einen Brunnen, und ehe
der Tag vorbei ist, hat der Prinz Wasser.“
Der König entschied sich für den zweiten
Vorschlag, und bald bohrten die Techniker einen Brunnen
im Wüstensand und durch den Fels. Gegen Abend
stießen sie auf Wasser, und der Prinz konnte
seinen Durst stillen.
„Vater“, fragte der Knabe, als er satt
war, „warum hast du diese Männer in der
Wüste einen Brunnen graben lassen? Wir hätten
das Wasser doch schneller haben können.“
„In der Tat, mein Sohn“, erwiderte der
König. „So ist es heute. Aber vielleicht
bist du in vielen Jahren wieder hier unterwegs, allein
und ohne die Privilegien, die du heute genießt.
Dann steht dir dieser Brunnen zur Verfügung.“
„Aber Vater“, wandte der Prinz ein, „in
vielen Jahren wird der Sand der Zeit den Brunnen gefüllt,
das Wasser verschüttet und sogar die Erinnerung
an den Brunnen ausgelöscht haben!“
„Du hast klug gesprochen, mein Sohn“,
sagte der König. „Wir werden die Lage des
Brunnens auf unseren Karten einzeichnen und die Karten
gut aufheben. Wenn du den genauen Ort des Brunnen
kennst, kannst du ihn leicht wieder ausgraben. Das
werden wir jedes Mal tun, wenn wir lagern. Wir werden
Brunnen graben und ihre Lage auf unserer Karte vermerken.
Wir werden die Eigenschaften jedes Brunnens angeben
und erklären, wie man das Wasser wieder zum Fließen
bringen kann. Egal wann und unter welchen Umständen
du diesen Weg gehen wirst, du wirst das Wasser bekommen,
das du auf der Reise brauchst.“
Die Torah nennt die jüdischen Feste moadim (festgelegte
Zeiten) und mikraei kodesch (Rufe der Heiligkeit).
„Dies sind G–ttes festgelegte Zeiten“
steht im einleitenden Vers der Torah vor der Liste
der Feiertage; es sind „Rufe der Heiligkeit,
die ihr zu ihren festgelegten Zeiten anrufen sollt“
(Lev. 23:4).
Ein Fest ist eine Begegnung mit der Vergangenheit,
mit einem Ereignis in unserer Geschichte. Es ist eine
Gelegenheit, die besondere Heiligkeit des Tages anzurufen
und seine spirituellen Schätze zu heben.
Jedes Fest steht für einen Punkt auf unserer
Reise durch die Zeit, an dem unser himmlischer Vater,
der uns bei unseren ersten Schritten als Volk begleitete,
uns die Schätze schenkte, die unserem spirituellen
Leben Nahrung geben. An Pessach gab er uns die Freiheit;
an Schawuot offenbarte er sich auf dem Berg Sinai
und gab uns seine Torah, die Verkörperung seiner
Weisheit und seines Willens und unsere Satzung –
denn wir sind sein Königreich von Priestern und
sein heiliges Volk. An Rosch Haschana wurde G–tt
zu unserem König; an Jom Kippur vergab er uns
unsere erste und schlimmste Sünde als sein Volk,
die Sünde mit dem goldenen Kalb, und gewährte
uns die Gabe der Teschuwa, damit wir unsere Fehler
berichtigen und transformieren können. Sukkot
erinnert an die Zeit, als die g-ttliche Wolke uns
auf unserer Wanderung durch die Wüste zum Gelobten
Land schützte und einte. Das Wunder von Chanukka
bedeutete die Rettung der jüdischen Seele, den
Sieg des Lichts und der Reinheit über Dunkelheit
und Falschheit. Das Wunder von Purim rettete das auserwählte
jüdische Volk. Und Ähnliches gilt für
alle Feiertage und besonderen Daten und Perioden unseres
Kalenders.
Aber das waren keine einmaligen Geschenke von oben.
Freiheit, Weisheit, Hingabe, Freude, Erleuchtung braucht
die Seele immer; es sind die spirituellen Nährstoffe,
von denen sie auf ihrer Reise durchs Leben zehrt.
Wie der König in der oben erzählten Geschichte
(sie stammt vom chassidischen Meister Rabbi Jecheskel
Panet und will die Seele des jüdischen Kalenders
erklären) hat auch G–tt an verschiedenen
Stellen der Zeit Brunnen gegraben: ewige Quellen all
dieser Gaben. Wenn wir durchs Jahr reisen –
das ein Mikrokosmos des ganzen Universums ist –,
begegnen wir den Feiertagen, und jeder markiert den
Ort eines nahrhaften Brunnens für unsere Seele.
G–tt hat uns auch eine Karte gegeben: einen
Kalender, in dem die Feiertage auf unserer Reise durch
die Zeit vermerkt sind. Die Karte erklärt zugleich,
wie wir die Brunnen öffnen und ihr Wasser genießen
können. Wenn wir an Rosch Haschana den Schofar
blasen, wiederholen wir die erste Krönung G–ttes.
Damals krönte Adam G–tt zum König
des Universums. Wenn wir Mazen essen, denken wir an
die Freiheit von Pessach. Wenn wir die Chanukka-Kerzen
anzünden, gedenken wir des Wunders von Chanukka.
Und so ist es mit jedem Feiertag auf unserem Kalender;
jeder enthält seine eigenen Mizwot, also Werkzeuge,
die den Brunnen öffnen und sein Wasser befreien.
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