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Gedanke der Woche, Paraschat Jitro:
Ladys first
Selbst in unserer Zeit sind die meisten
Frauen mit der Regel „Ladys first“ einverstanden,
sei es auf einem sinkenden Schiff, sei es am Eingang
zum Ballsaal. Die meisten Leute glauben, diese Maxime
sei ein Zugeständnis des stärkeren Geschlechts
an das schwächere; doch in Wirklichkeit hat sie
einen ganz anderen Sinn, zumindest bei den Juden.
Als G–tt vor 3317 Jahren Mosche befahl, das Volk
Israel auf den Empfang der Torah am Berg Sinai vorzubereiten,
sagte er: „Sprich zum Hause Jaakows und zu den
Söhnen Israels“ (Exodus 19:3). Das „Haus
Jaakows“, erläutern unsere Weisen, sind die
Frauen, und die „Söhne Israels“ sind
die Männer. Mit anderen Worten: „Sprich zuerst
mit den Frauen.“
Bis dahin lautete die Regel: Zuerst kommen die Männer.
Adam wurde bekanntlich vor Eva erschaffen. Noach und
seine Söhne betraten die Arche zuerst, dann folgten
ihre Frauen – das berichtet zumindest Genesis
7:13 (es ist sozusagen das Gegenteil der Geschichte
vom sinkenden Schiff). Wenn Jaakow mit seiner Familie
reiste, ritten die Männer voraus (Genesis 31:17),
während Eisaw die Frauen vor den Männern reiten
ließ (36:6). Den Weisen ist dieser Unterschied
aufgefallen, und sie schließen daraus, dass Jaakows
Moral der seines Bruders überlegen war.
Warum also gab G–tt die Torah zuerst den Frauen?
Der Midrasch bietet mehrere Erklärungen an. Erstens
sind Frauen religiöser als Männer (einiges
scheint sich in all diesen Jahrhunderten nicht geändert
zu haben). Wenn die Frauen die Torah annehmen, werden
auch die Männer sie akzeptieren (auch das hat sich
nicht geändert).
Nach Rabbi Tachlifa von Cäsarea ist es umgekehrt:
Frauen sind widerspenstiger, und darum müssen sie
zuerst überzeugt werden: „G-tt dachte: Als
ich die Welt erschuf, gab ich zuerst Adam und dann Eva
einen Befehl, und die Folge war, dass Eva sündigte
und in der Welt einen Aufruhr verursachte. Wenn ich
jetzt die Frauen nicht zuerst anspreche, machen sie
die Torah zunichte.“
Die chassidische Lehre dringt tiefer und findet die
Erklärung im Wesen des Männlichen und Weiblichen.
Der Mann stammt von der „Linie des Lichts“
ab, das die Leere (makom panui) durchdringt, die G–tt
schuf, um darin die Welt zu erschaffen. Doch Makom panui
ist kein absolutes Vakuum, es ist ein Rest des g-ttlichen
Lichts, ein unsichtbarer Äther aus G-ttlichkeit,
der die Leere durchdringt und die Grundlage unserer
Existenz ist. Aus diesem „Rest“ kommt der
weibliche Teil der Schöpfung.
Darum handelt und erobert der Mann, er kämpft gegen
die irdische Dunkelheit und bringt Licht vom Himmel.
Die Frau ernährt; sie stützt das, was ist,
und überlegt nicht so sehr, was getan werden muss;
sie findet das G–ttliche in der Welt und holt
es nicht von außen herein. Trotzdem sind beide
ein integraler Teil des Schöpfungsplanes. Wir haben
die Aufgabe, G-tt in die Welt zu bringen (die männliche
Rolle) und die Welt zu einem Heim für G–tt
zu machen (die weibliche Rolle), das Dunkle zu überwinden
(Mann) und das Licht in der Dunkelheit zu enthüllen
(Frau).
In den ersten 24 Jahrhunderten der Geschichte waren
die Menschen voll damit beschäftigt, gegen das
Dunkle zu kämpfen. Also dominierte die männliche
Komponente. Dann kam der Tag, an dem G–tt, der
sich nach einem Heim sehnte (denn deshalb erschuf er
die Welt), sich auf einem Berggipfel in der Wüste
Sinai offenbarte und seinem auserwählten Volk eine
Torah übergab, die den Bauplan für sein Heim
enthielt.
Der Mann musste danach immer noch kämpfen; aber
alle seine Kämpfe gründeten fortan auf dem
Prinzip, dass die Welt in erster Linie ein g-ttlicher
Ort ist.
„Es ist Zeit, mit den Damen zu reden“, sagte
G–tt zu Mosche.
Der Standpunkt des Rebbe
Gedanken und Einsichten des Lubawitscher Rebbe
Nichts, was du hast, ist real, es sei denn, du hast dafür
gearbeitet. Wenn du von Geburt an nett bist, gehört
diese Nettigkeit nicht dir. Wenn du zunächst nicht
sonderlich nett warst und jetzt freundlicher bist, dann
ist das g–ttlich.
Das
einzig richtige Motiv
„G-tt stieg auf den Berg Sinai hinrab, auf den
Gipfel des Berges. Und G–tt rief Mosche auf
den Gipfel des Berges, und Mosche stieg hinauf“
(Exodus 19:20).
Wenn G–tt aus dem Himmel hinabstieg, hätte
er dann nicht ein paar hundert Meter tiefer steigen
können? Warum ließ er einen Achtzigjährigen
auf den Gipfel klettern? Darin liegt der Schlüssel
zum Verständnis der Torah. G–tt ist unendlich
und undefinierbar. Die Torah ist seine Weisheit und
sein Wille, und der begrenzte Geist des Menschen kann
beides nicht erfassen. Die Ansicht, der menschliche
Verstand könne die g-ttliche Wahrheit begreifen
oder ihr auch nur auf halbem Weg begegnen, ist lächerlich.
Nur weil G–tt uns die Torah gab, nur weil er
beschloss, die Grenze aufzuheben, die er bei der Schöpfung
zog, um das Endliche vom Unendlichen zu trennen, können
wir seine Botschaften an uns verstehen.
Aber der Allm-chtige wollte den Menschen das Verständnis
der Torah nicht schenken, sondern er wollte, dass
wir uns darum gemeinsam bemühen. Er wollte die
Einheit zwischen dem menschlichen und g-ttlichen Geist.
Wir müssen unseren Verstand anstrengen, und das
mit allen unseren Kräften. Und wenn wir den Gipfel
unseres endlichen Berges erreicht haben, ist G–tt
da und schenkt uns seine absolute Wahrheit. (Nach
der Lehre des Chassidismus)
Rabbi Jecheskel Landau, der berühmte Autor von
„Noda B’Jhuda“, diente von 1754
bis 1793 als Rabbi von Prag. Einmal stellte ihm eine
Gruppe von Gelehrten, die seine Eignung als Rabbiner
prüfen wollten, einige Fragen über die Torah.
Diese fiktiven „Fälle“ waren sorgfältig
konstruiert und so komplex und irreführend wie
möglich, um den Rabbi in logische Fallen zu locken
und ihn mit falschen Antworten zu demütigen.
Aber Rabbi Jecheskel löste alle Probleme –
außer einem. Sofort fielen sie über ihn
her und bewiesen, dass sein Ergebnis gegen ein bestimmtes
Prinzip der Torah verstieß. Daraufhin sagte
Rabbi Jecheskel: „Ich bin sicher, dass dieser
Fall nicht wichtig ist und dass ihr ihn ersonnen habt,
um mich zu erniedrigen. Seht ihr, wenn ein Mann aus
Fleisch und Blut ein Gesetz der Torah auslegen soll,
steht er vor einem grundlegenden Dilemma: Wie kann
der menschliche Geist entscheiden, was G–ttes
Wille ist? Die Gebote und Verbote der Torah sind Richtlinien,
an denen wir nach dem Willen G–ttes unser Leben
ausrichten sollen. Wie könnte unser endlicher
und zum Irrtum neigender Verstand über diese
absoluten g-ttlichen Regeln entscheiden?
Aber die Torah selbst sagt uns, dass sie „nicht
im Himmel ist“, sondern uns gegeben wurde, damit
wir sie studieren und verstehen, und dass wir immer
dann, wenn eine Frage auftaucht, mit unserem endlichen
Wissen und Urteil entscheiden müssen. Mit anderen
Worten: Wenn wir unser Selbst vergessen und ganz der
Torah dienen, verspricht uns G–tt, dass das
Ergebnis unseres Urteils seinem Willen entspricht.
Allerdings gilt diese Garantie nur für wahre
Ereignisse, also wenn ein Rabbiner entscheiden soll,
was in einer bestimmten Situation der Wille G–ttes
ist. Sie gilt nicht, wenn es nur um seine Ehre geht.
Hättet ihr mir eine wichtige Frage gestellt,
hätte ich mich estimmt nicht geirrt, weil ich
mich dann ohne persönliches Interesse mit dem
Problem befasst hätte. Mein einziges Motiv wäre
gewesen, den Willen G–ttes zu erfüllen.
Aber ihr habt mir eine rein hypothetische Frage gestellt,
um mich in die Irre zu führen.
Darum arbeitete mein Verstand wie jeder andere große
und kleine Verstand: unvollkommen und manipulierbar.“
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