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Gedanke der Woche, Paraschat Ki-Tissa:
Ein vollkommener Tag
„Am siebten Tag vollendete
G-tt seine Werke, und am siebten Tag ruhte er sich von
allen seinen Werken aus“ (Genesis 2:2)
Dieser Vers scheint widersprüchlich zu sein. Hat
G–tt sein Werk am oder vor dem siebten Tag vollendet?
Dauerte die Schöpfung sechs oder sieben Tage? Unsere
Weisen erläutern: Was fehlte der Welt noch? Ruhe.
Als der Schabbat kam, kam die Ruhe. Am Schabbat schuf
G–tt also die Ruhe. Sie war der letzte und oberste
Ziegelstein im Gebäude der Schöpfung.
Am Vorabend des ersten Schabbat war die Erschaffung
der Zeit fast vollendet. Nur die Ruhe fehlte noch. Mit
der Erschaffung der Schabbat-Zeit – einer Zeit
der Ruhe – war der Zyklus beendet. Aber kann „Ruhe“
ein Attribut der Zeit sein? Sind Zeit und Bewegung nicht
das Gegenteil der Ruhe? Genau darum geht es! Der Schabbat
ist eine Zeit, welche die Definition der Zeit transzendiert.
Obwohl die Zeit Bewegung und Wandel bedeutet, enthält
sie auch ein Element der Ruhe, das Potenzial, in der
Zeit etwas zu erschaffen, einen Bereich der Dauer und
der Gelassenheit, die Chance, Harmonie und Frieden in
die Kämpfe und in das Auf und Ab des Lebens zu
bringen.
Der Schabbat hat also einen tief greifenden Einfluss
auf die ganze Woche. Wenn wir im täglichen Leben
nicht nur etwas leisten, sondern auch mit dem Erreichten
zufrieden sind; wenn wir die Wirklichkeit nicht nur
bewältigen, sondern sie auch zu einem Freund und
Verbündeten machen; wenn unser Leben nicht nur
eine ständige Suche ist, sondern auch eine Reihe
von Erfolgen – dann liegt es daran, dass der Schabbat,
die Insel der Ruhe im Strom der Existenz, einen Teil
seiner Essenz an die anderen sechs Bestandteile der
Zeit weitergibt.
Aber wenn jeder Wochentag etwas vom Schabbat an sich
hat, betreten wir am Schabbat selbst eine Dimension
der Zeit, deren Essenz Ruhe und Frieden ist. „Sechs
Tage sollt ihr arbeiten“, befiehlt die Torah,
„und ihr sollt all eure Arbeit tun. Der siebte
Tag ist Schabbat vor G–tt.“ Aber können
wir „all unsere Arbeit“ in sechs Tagen bewältigen?
Selbst unser ganzes Leben ist für „all unsere
Arbeit“ eine kurze Zeit! Doch am Schabbat, erklären
unsere Weisen, ist „all unsere Arbeit“ tatsächlich
getan! Der Schabbat ist nicht nur eine Pause im Lebenskampf,
sondern er gewährt uns auch einen Blick und einen
Vorgeschmack auf das höchste Ziel des Lebens.
Am Schabbat hören wir auf, mit der Welt zu kämpfen.
Wir hören nicht auf, die Welt zu vervollkommnen,
sondern am Schabbat ist die Welt vollkommen. Wir feiern
also das, was vollkommen und unwandelbar ist. Wir hören
auf, gegen die Dunkelheit zu kämpfen – nicht
nur, um neue Kraft zu sammeln, sondern auch, weil es
nicht mehr dunkel ist; denn das Licht, das wir durch
gute Taten erzeugt haben und das unsere Arbeitsalltag
während der Woche mit dem Schleier der Weltlichkeit
verdunkelt hat, wird nun für unser geläutertes
Selbst sichtbar. Doch der Schabbat ist nur ein Vorgeschmack
„des Tages, der auf ewig ganz Schabbat und ganz
Ruhe sein wird“. Die Siebentagewoche ist ein Mikrokosmos
einer viel größeren Zeitspanne: Die gesamte
Geschichte ist ebenfalls eine „Woche“. Sie
besteht aus sieben „Werktagen“ oder Jahrtausenden
und einem Siebtel Ruhe: der Ära des Moschiach.
Am wöchentlichen Schabbat erfahren wir die Vollkommenheit,
die wir erreicht haben, weil wir uns während der
vergangenen sechs Tage bemüht haben, die Welt zu
entwickeln und zu läutern. In der Ära des
Moschiach finden die gemeinsamen Errungenschaften aller
Generationen ihre Erfüllung. Jede gute Tat, jedes
gute Wort und jeder gute Gedanke aller sechs Jahrtausende
menschlicher Erfahrung gipfeln dann in einer wirklich
friedlichen Welt, einer Welt ohne Streit und Zwietracht,
einer Welt, die von der Weisheit, Güte und Vollkommenheit
ihres Schöpfers durchdrungen ist.
Der Standpunkt des Rebbe
Gedanken und Einsichten des Lubawitscher Rebbe
Der Mensch ist G–ttes Nadel, die aus den vielen
Flecken der Schöpfung ein Gewand für seinen
Ruhm näht. An einem Ende muss die Nadel hart und
spitz sein, damit sie unsere Not durchdringt. Doch am
anderen Ende muss sie eine Öse haben, ein Nichts,
das den Faden hält. Mit der Welt sollst du hart umgehen;
doch in der Welt sollst du erkennen, wie klein du angesichts
des Unendlichen bist.
Leitgedanken
„Doch meine Schabbatot müsst ihr einhalten“
(31:13).
Frage: Warum steht „Schabbat“
im Plural?
Antwort: Nach der Gemara (Schabbat 119b)
begleiten zwei Engel einen Juden, der am Freitagabend
von der Synagoge nach Hause geht. Der eine ist gut, der
andere böse. Wenn sie ins Haus gehen und dort eine
angenehme Atmosphäre und einen Tisch mit Schabbat-Kerzen
vorfinden, segnet der gute Engel die Familie, damit sie
die gleiche spirituelle Atmosphäre auch am nächsten
Schabbat genießen darf. Und der böse Engel
sagt dazu zögernd Amen. Wenn wir einen Schabbat einhalten,
segnet also der Engel den folgenden Schabbat.
„H-rr, H-rr, der gnädige und gütige
G–tt“ (Exodus 34:6).
„G-tt lehrte Mosche beten: So wie du mich meine
dreizehn Attribute der Gnade sprechen hörst,
sollst auch du sprechen. Wenn du mich gnädig
und gütig nennst, weckst du meine unendliche
Gnade.“ (Raschis Kommentar)
Die Beklommenheit nahm zu und glich einer elektrischen
Spannung, als der G-ttesdienst an Jom Kippur sich
in der Synagoge von Berditschew seinem Ende näherte.
Alle hatten sich an diesem heiligsten aller Tage versammelt
und flehten den Allm-chtigen an, ihnen die Sünden
des vergangenen Jahres zu vergeben.
Plötzlich stieg Rabbi Levi Jizchak, der Rebbe
von Berditschew, auf das Podium in der Mitte der vollen
Synagoge und sprach zum Allm-chtigen:
„Meister des Universums! Wir alle kennen das
Gesetz, wonach wir keinen Segen in deinem Namen sprechen
dürfen, wenn wir im Zweifel sind. Denn es ist
eine schwere Sünde, deinen heiligen Namen zu
missbrauchen. Darum ist es besser, auf einen notwendigen
Segen zu verzichten, als einen unnötigen zu riskieren.
Herr des Universums! Gewiss willst du nicht, dass
wir gegen deine Torah verstoßen!? Hier hat dein
Volk soeben erklärt: ,Gesegnet bist du, G-tt,
König des Universums, der unsere Sünden
vergibt und die Sünden seines Volkes, des Hauses
Israel’. Das darf doch gewiss kein sündhafter
Segen sein! Du hast also keine andere Wahl, als die
Sünden zu vergeben!“
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